"Was? Ins Kloster willst Du? Da darfst du ja nicht mehr heiraten und keine Freundin mehr haben!", so der entsetzte Ausruf vieler Zeitgenossen, wenn sich jemand dafür entscheidet, in einen Orden einzutreten. "Tut mir leid, ich bin nicht ins Kloster gegangen, um nicht mehr heiraten zu dürfen", so gebe ich gerne zur Antwort, wenn sich jemand über unser Leben in eheloser Keuschheit entsetzt. Das Ziel der Nachfolge Jesu in einer Ordensgemeinschaft ist es nicht, dieses und jenes nicht mehr zu tun und es sich mit asketischer Strenge zu verbieten oder in sich selber abzuklemmen. Ziel unseres Lebens ist es, die glimmende Glut der Sehnsucht nach Gott im eigenen Herzen neu entfachen und zu einem brennenden Feuer auflodern zu lassen. Ordensleute sollten leidenschaftlich sehnsüchtige Menschen sein, die das Letzte und das Grösste suchen: den lebendigen Gott. Natürlich braucht die Glut unter der Asche meines Lebens und das auflodernde Feuer in meinen Hoch-Zeiten einen Schutz. Doch Ziel des Ordenslebens ist nicht die Organisation dieses Schutzes, sondern das flackernde Feuer dieser leidenschaftlichen Sehnsucht. Die drei evangelischen Räte von Armut, Gehorsam und Jungfräulichkeit sind für uns Schutzhilfen und Leitplanken auf dem Weg der Sehnsucht. Sie sollen den Rücken freimachen, um sich ganz der Sehnsucht nach Gott widmen zu können. Drei wesentliche Bereiche unseres Menschseins werden dadurch in Gott verankert.
Wir Menschen brauchen Nahrung, Kleider, Wärme und vieles mehr. Mit Franziskus dürfen wir darum die Gaben der Schöpfung geniessen und in ihnen den Schöpfer preisen. Doch meist wollen wir auch mehr als nötig, um uns abzusichern und reicher als andere zu sein. Gerade in unserer Wohlstandsgesellschaft sind Besitzgier und Habsucht weit verbreitet. Wer hat, will immer noch mehr. Der Poverello Franziskus wollte allen Besitz loslassen, um sich ganz dem gütigen Vater im Himmel in die Hände zu geben. Daraus erwuchs ihm eine unfassbare Freiheit. "Wenn wir Besitz hätten, so müssten wir auch Waffen haben, um ihn zu verteidigen", so sagt er. Wer nichts hat, muss keine Angst haben, dass ihm etwas weggenommen wird. Er darf ganz Gottes Liebe vertrauen und eine neue Freiheit erleben. Natürlich leben wir Franziskaner nicht immer diese Freiheit der Armut, aber wir bemühen uns immer wieder, Unnötiges loszulassen und unser Herz nicht an Geld, Häuser, Löhne und Aufgaben zu verlieren. Ein einfacher Lebensstil befreit von vielen Sorgen und macht frei, den Armen und Unterdrückten zu dienen.
Wir Menschen dürfen uns selber sein und immer mehr werden und haben einen eigenen Willen, den Gott uns geschenkt hat. So dürfen wir oft in unserem Inneren die Stimme Gottes hören. Oft genug aber hören wir immer nur unsere eigene laute Stimme, die Ansehen sucht und Macht über andere auszuüben versucht. Heute nähren viele Filme unsere Machtfantasien ins Unermessliche und jeder möchte gerne ein Held sein. Bruder Franziskus gab seine Ritterträume auf und wollte nicht König über viele Reiche werden, sondern Bruder aller Menschen, selbst den wilden Tieren untertan, wie er einmal sagt. Als Bruder unter Brüdern wollte er Kind des Vaters im Himmel sein. Lauschend auf die Stimme dieses Vaters versuchte er nicht mehr nur seinen eigenen Ideen zu folgen, sondern in den Anliegen und Nöten aller Brüder und Schwestern Gottes Flüstern zu vernehmen. Leider sind wir Minderbrüder nicht immer frei von Selbstbezogenheit und Egoismus. Doch versuchen wir uns immer wieder vom Kleinwerden und von der Demut Gottes in Jesus verführen zu lassen, der für uns in Bethlehem ein kleines Baby geworden ist und am Kreuz wie ein Verbrecher hingerichtet wurde. Das Leben in der Brüdergemeinschaft hilft uns dabei, egoistische Kanten abzuschleifen und sich von anderen herausfordern und beschenken zu lassen.
Wir Menschen, Männer und Frauen, sind einander als Bereicherung und Ergänzung geschenkt. Es ist wunderbar mit einem Menschen zu leben, der bereit ist, alle Höhepunkte und alle dunklen Stunden mit mir zu teilen. Es ist schön, wenn in der Liebeskraft der Sexualität diese Hingabe aneinander spürbar werden kann. Aber manchmal missbrauchen Menschen einander als Objekte der Begierde und suchen in Beziehungen mehr sich selber als das Wohl des anderen. Unsere oftmals sexualisierte Gesellschaft entwürdigt Menschen, vor allem Frauen, und macht sie zu Objekten der Befriedung. Franziskus von Assisi freute sich über die Schönheit der Schöpfung und der Menschen. Mit Klara von Assisi verband ihn eine tiefe Freundschaft. Doch die Sehnsucht nach Gott und die Liebe Gottes zu ihm verzehrte ihn so sehr, dass er einer menschlichen Partnerschaft keinen Raum mehr zu geben vermochte. In der Stigmatisierung auf dem Berg La Verna erlebte er tiefste, verwandelnde Begegnung mit Gott. Die Sehnsucht von uns Franziskanern nach Gott ist nicht immer so gross, dass all unsere menschlichen Beziehungen und Freundschaften ganz Gott in die Mitte stellen. Und doch drängt uns unser Leben in eheloser Keuschheit immer wieder neu dazu, hinter all unseren Sehnsüchten nach Liebe und menschlicher Anerkennung unsere eine Sehnsucht nach Gott und die leidenschaftliche Sehnsucht Gottes nach uns zu erkennen und ihr täglich Raum in der Mitte unseres Herzens zu schaffen.
In der Profess haben wir Franziskaner unser Leben ganz in die Hände Gottes gelegt, um für IHN frei zu werden. Die drei Knoten im Strick unseres Ordenskleides erinnern uns an diese Hingabe an Gott in Armut, Gehorsam und Jungfräulichkeit. Manchmal bleiben wir an einem Knoten hängen, uns bleibt die Luft weg und wir kommen nicht mehr vorwärts. Gelegentlich spielen wir mit den Knoten im Strick und freuen uns der Freiheit, die Gott uns schenkt. Es kommt auch vor, dass wir uns vom "Lasso Gottes" gefangengenommen erfahren und IHM entwischen möchten. Doch dann erleben wir uns wieder von Seiner Hand gehalten und gebunden, so dass wir über den Abgründen zu tanzen vermögen. Immer aber wissen wir, dass ER sich an uns gebunden hat und uns nicht loslässt in Seiner Sehnsucht bei uns zu sein. Gott schenkt sich uns immer neu und ist in seiner Liebe treu! Das ist das tiefste Geheimnis eines Lebens aus den Gelübden von Armut, Gehorsam und Ehelosigkeit, eines Lebens in der Professhingabe an den lebendigen Gott.