Die nicht-bullierte Regel des heiligen Franz von Assisi

DIe nicht-bullierte Regel ist die ältere Regel als die bullierte Regel des heilige Franz von Assisi. Sie ist aber päpstlicherseits nicht schrifftlich approbiert und daher nicht bulliert.
Zum Werden der nicht-bullierten Regel haben die Brüder auf den jährlichen Kapiteln beigetragen, wie Franziskus
selbst im Brief an einen Minister zu erkennen gibt. Er beanspruchte nicht, allein die Regel zu schreiben, sondern „mit Gottes Hilfe und dem Rat der Brüder“ (Min 13). Er ist Teil der Bruderschaft, weiß sich aber auch als ihr Inspirator und bringt sich darum hörbar ein, wie einige Formulierungen in der Ich-Form zeigen (NbR 15,1; 17,5; 20,1). Doch meistens spricht er im Wir der Bruderschaft. Die Regel ist also ein Gemeinschaftswerk. Es wurde beeinflusst von neuen Herausforderungen der Gesellschaft (Ablehnung von Geld, Besitz, Karriere) und der Kirche (Laterankonzil 1215, Predigtnotstand, Mission unter den Muslimen), auf welche die Brüder im Licht des Evangeliums Antwort gaben. (aus: Franziskus Quellen)

Prolog
1 Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
2 Dies ist die Lebensweise, die Bruder Franziskus vom Herrn Papst erbeten hat, dass sie ihm gewährt und bestätigt würde. Und jener gewährte und bestätigte sie ihm und seinen Brüdern, den damaligen und den zukünftigen. 3 Bruder Franziskus und wer immer Haupt dieses Ordens sein wird, verspreche Gehorsam und Ehrerbietung dem Herrn Papst Innozenz und dessen Nachfolgern. 4 Und die anderen Brüder sollen verpflichtet sein, dem Bruder Franziskus und seinen Nachfolgern zu gehorchen.

Kap. 1: Dass die Brüder leben sollen ohne Eigentum, in Keuschheit und in Gehorsam
1 Regel und Leben dieser Brüder ist dieses, nämlich zu leben in Gehorsam, in Keuschheit und ohne Eigentum und unseres Herrn Jesu Christi Lehre und Fußspuren zu folgen, der sagt: 2 „Wenn du vollkommen sein willst, geh und verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben; und dann komm, folge mir nach“. 3 Und: „Wenn jemand mir nachfolgen will, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir“. 4 Ebenso: „Wenn jemand zu mir kommen will und nicht Vater und Mutter und Frau und Kinder und Brüder und Schwestern hasst, ja selbst sogar sein eigenes Leben, kann er mein Jünger nicht sein“. 5 Und: „Jeder, der Vater oder Mutter, Brüder oder Schwestern, Frau oder Kinder, Häuser oder Äcker um meinetwillen verlässt, wird Hundertfaches erhalten und das ewige Leben besitzen“.


Kap. 2: Von der Aufnahme und der Kleidung der Brüder
1 Wenn jemand auf Gottes Eingebung hin dieses Leben annehmen will und zu unseren Brüdern kommt, werde er liebevoll von ihnen aufgenommen. 2 Wenn er nun entschlossen ist, unser Leben anzunehmen, sollen sich die Brüder sehr hüten, sich in seine zeitlichen Angelegenheiten einzumischen; vielmehr sollen sie ihn bei ihrem Minister vorstellen, so schnell sie können. 3 Der Minister aber nehme ihn gütig auf und bestärke ihn und erkläre ihm sorgfältig die Eigenart unseres Lebens. 4 Ist das geschehen, dann soll der Genannte, wenn er will und vom Geist erfüllt es ungehindert kann, all seine Habe verkaufen und alles unter die Armen zu verteilen suchen.
5 Hüten sollen sich die Brüder und die Minister der Brüder, sich irgendwie in seine Angelegenheiten einzumischen; 6 und sie dürfen keinerlei Geld annehmen, weder sel ber noch durch eine Mittelsperson. 7 Wenn die Brüder jedoch Mangel leiden, können sie andere lebensnotwendige Dinge, Geld ausgenommen, der Notlage wegen wie andere Arme annehmen.
8 Und wenn er wieder zurückkommt, soll der Minister ihm die Kleidung für die Probezeit auf ein Jahr gewähren, nämlich zwei Kutten ohne Kapuze, einen Strick und Hosen und einen Kaparon bis zum Gürtelstrick. 9 Ist aber Jahr und Frist der  Probezeit beendet, soll er zum Gehorsam angenommen werden. 10 Danach soll es ihm nicht erlaubt sein, in einen anderen Orden einzutreten, noch „sich außerhalb des Gehorsams herumzutreiben“, entsprechend der Anordnung des Herrn Papstes, denn nach dem Evangelium ist keiner, der die Hand an den Pflug legt und rückwärts schaut, für das Reich Gottes geeignet.
11 Wenn nun aber jemand kommt, der seine Habe nicht ungehindert weggeben kann, obwohl er das geistliche Verlangen danach hat, so soll er seine Habe verlassen, und das genügt für ihn. 12 Niemand darf aufgenommen werden gegen die Rechtsform und Anordnung der heiligen Kirche. Die anderen Brüder aber, die Gehorsam versprochen haben, sollen nur eine Kutte mit Kapuze haben und, falls notwendig, eine weitere ohne Kapuze, sowie Strick und Hosen. 14 Und alle Brüder sollen geringwertige Kleidung tragen, und sie können sie mit
Sackleinen und anderen Stücken verstärken, mit dem Segen Gottes, denn der Herr sagt im Evangelium: „Die kostbare Kleider tragen und üppig leben und die sich weichlich kleiden, sind an den Höfen der Könige“. 15 Und mag man sie auch Heuchler nennen, so sollen sie doch nicht aufhören, gut zu handeln; und sie sollen keine teuren Kleider suchen in dieser Welt, damit sie das Kleid im Himmelreich erhalten können.


Kap. 3: Vom Göttlichen Offizium und vom Fasten
1 Der Herr sagt: „Diese Art von Dämonen kann nur durch Fasten und Gebet ausgetrieben werden“ . 2 Und  wiederum: „Wenn ihr fastet, dann werdet nicht wie traurige Heuchler“. 3 Daher sollen alle Brüder, seien sie Kleriker oder Laien, das Göttliche Offizium, die Lobpreisungen und Gebete verrichten, gemäß dem, wozu sie verpflichtet sind. 4 Die Kleriker sollen das Offizium verrichten und es für Lebende und Verstorbene beten
nach der Gewohnheit der Kleriker. 5 Für Versagen und Nachlässigkeiten der Brüder aber sollen sie jeden Tag den Psalm „Erbarme dich meiner, o Gott“ mit dem Vater-unser beten; 6 für die verstorbenen Brüder den Psalm „Aus der Tiefe“ mit dem Vater- unser. 7 Und an Büchern sollen sie nur so viele haben können, wie zur Erfüllung ihres Amtes notwendig sind. 8 Und auch den Laien, die den Psalter zu lesen verstehen, soll es erlaubt sein, einen solchen zu haben. 9 Den anderen aber, die des Lesens unkundig sind, soll es nicht gestattet sein, ein Buch zu haben.
10 Die Laien aber sollen das Credo beten („Ich glaube an Gott“) und vierundzwanzig Vaterunser mit „Ehre sei dem Vater“ für die Matutin; für die Laudes aber fünf; für die Prim „Ich glaube an Gott“ und sieben Vaterunser mit „Ehre sei dem Vater“; für die Terz, Sext und Non auch je sieben; für die Vesper zwölf; für die Komplet „Ich glaube an Gott“ und sieben Vaterunser mit „Ehre sei dem Vater“; für die Verstorbenen sieben Vaterunser mit „Herr, gib ihnen die ewige Ruhe“; und für Versagen und Nachlässigkeiten der Brüder jeden Tag drei Vaterunser.

11 Und ebenso sollen alle Brüder fasten vom Fest Allerheiligen bis Weihnachten und von Epiphanie, als unser Herr Jesus Christus zu fasten begann, bis Ostern. 12 Zu anderen Zeiten aber sollen sie diesem Leben gemäß nicht zum Fasten verpflichtet sein, außer am Freitag. 13 Und es soll ihnen erlaubt sein, von allen Speisen zu essen, die ihnen vorgesetzt werden, gemäß dem Evangelium.

Kap. 4: Von den Ministern und den anderen Brüdern in ihrem Verhältnis zueinander
1 Im Namen des Herrn!
2 Alle Brüder, die als Minister und Diener der anderen Brüder eingesetzt sind, sollen die Brüder auf die Provinzen und Orte verteilen, in denen sie sein sollen: Und sie sollen die Brüder oft aufsuchen und geistlich ermahnen und bestärken. 3 Und alle meine anderen gebenedeiten Brüder sollen ihnen sorgfältig gehorchen in den Dingen, die das Heil der Seele angehen und unserem Leben nicht zuwider sind.
4 Und sie sollen sich untereinander so benehmen, wie der Herr sagt: „Was immer ihr wünscht, dass es euch die Menschen tun, das tut auch ihr ihnen“; 5 und: „Was du nicht willst, dass es dir geschehe, das tu auch keinem anderen an“. 6 Und die Minister und Diener sollen sich zu Herzen nehmen, was der Herr sagt: „Ich bin nicht gekommen, bedient zu werden, sondern zu dienen“, und dass ihnen die Sorge für die Seelen der Brüder anvertraut ist, 7 über die sie, wenn einer von ihnen durch ihre Schuld und ihr schlechtes Beispiel verloren gehen sollte, am Tage des Gerichtes Rechenschaft ablegen müssen vor dem Herrn Jesus Christus.

Kap. 5: Von der Zurechtweisung der Brüder bei Verfehlung
1 Darum behütet eure und eurer Brüder Seelen; denn furchtbar ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen. 2 Wenn aber ein Minister einem der Brüder etwas gegen unser Leben oder gegen dessen Seele befehlen sollte, dann ist der Bruder nicht verpflichtet, ihm zu gehorchen. Denn das ist nicht Gehorsam, wenn dabei ein Vergehen oder eine Sünde begangen wird. 3 Jedoch sollen alle Brüder, die den Ministern und Dienern unterstellt sind, mit verständiger Sorgfalt auf das achten, was die Minister und Diener tun. 4 Und wenn sie sehen, dass einer von ihnen fleischlich wandelt und nicht geistlich, wie es für unser Leben richtig wäre, und er sich nach der dritten Ermahnung nicht bessert, dann sollen sie, ohne sich durch einen Einspruch davon abbringen zu lassen, auf dem Pfingstkapitel dem Minister und Diener der gesamten Brüderschaft Bericht erstatten.
5 Wenn sich aber irgendwo unter den Brüdern ein Bruder fände, der fleischlich und nicht geistlich wandeln wollte, dann sollen die Brüder, mit denen er zusammen ist, ihn demütig und sorgfältig ermahnen, ihn aufmerksam machen und zur Rede stellen. 6 Wenn nun jener sich nach dreimaliger Ermahnung nicht bessern wollte, dann sollen sie ihn so bald wie möglich zu seinem Minister und Diener schicken oder ihn demselben anzeigen, auf dass der Minister und Diener so mit ihm verfahre, wie er es vor Gott am besten erachtet.
7 Und hüten sollen sich alle Brüder, sowohl die Minister und Diener als auch die anderen, wegen der Sünde oder dem schlechten Beispiel eines anderen in Verwirrung oder Zorn zu geraten, denn der Teufel will durch die Sünde eines Einzelnen viele verderben. 8 Vielmehr sollen sie, so gut sie können, dem, der gesündigt hat, geistlichen
Beistand leisten; denn nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken.
9 Ebenso soll hierbei kein Bruder Macht oder Herrschaft ausüben, am wenigsten unter den Brüdern selbst. 10 Denn wie der Herr im Evangelium sagt: „Die Fürsten der Völker herrschen über diese, und die die Größeren sind, üben Macht unter ihnen aus“. So soll es unter den Brüdern nicht sein. 11 Sondern wer der Größere unter ihnen werden will, der sei ihr Diener und Knecht, 12 und wer der Größere unter ihnen ist, werde wie der Jüngere.
13 Und kein Bruder soll einem anderen Böses tun oder Böses sagen. 14 Ja, vielmehr sollen sie durch die Liebe des Geistes einander freiwillig dienen und gehorchen. 15 Und das ist der wahre und heilige Gehorsam unseres Herrn Jesus Christus. 16 Und alle Brüder, sooft sie von den Geboten des Herrn abweichen und sich außerhalb des Gehorsams herumtreiben, wie der Prophet sagt, sollen wissen, dass sie verflucht sind außerhalb des Gehorsams, soweit und solange sie wissentlich in dieser Sünde bleiben. 17 Und wenn sie ausharren in den Geboten des Herrn, die sie durch das heilige Evangelium und ihre Lebensweise versprochen haben, mögen sie wissen, dass sie im wahren Gehorsam stehen und vom Herrn gesegnet sind.

 

Kap. 6: Über die Zuflucht der Brüder zu den Ministern, und dass kein Bruder „Prior“ genannt werde
1 Wenn Brüder, an welchen Orten sie auch sind, unser Leben nicht beobachten können, sollen sie so schnell wie möglich zu ihrem Minister Zuflucht nehmen und ihm dies mitteilen. 2 Der Minister aber bemühe sich, so für sie zu sorgen, wie er selbst wünschte, dass ihm geschähe, wenn er in einer ähnlichen Lage wäre.
3 Und keiner soll „Prior“ genannt werden, sondern alle sollen schlechthin „Mindere Brüder“ heißen. 4 Und einer wasche des anderen Füße.


Kap. 7: Von der Weise zu dienen und zu arbeiten
1 Keiner der Brüder, an welchen Orten sie auch bei anderen zum Dienen oder Arbeiten sich aufhalten, soll Kämmerer oder Kellermeister sein, noch überhaupt eine leitende Stelle in den Häusern derer innehaben, denen sie dienen. Auch sollen sie kein Amt übernehmen, das Ärgernis hervorrufen oder ihrer Seele Schaden zufügen würde. 2 Sie sollen vielmehr mindere und allen untergeben sein, die im gleichen Hause sind.
3 Und die Brüder, die arbeiten können, sollen arbeiten und das Handwerk ausüben, das sie verstehen, wenn es nicht gegen das Heil ihrer Seele ist und ehrbar ausgeübt werden kann. 4 Denn der Prophet sagt: „Weil du die Mühen deiner Hände genießen wirst, bist du selig und wird es dir wohl ergehen“. 5 Und der Apostel: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“. 6 Und: „Ein jeder bleibe bei dem Handwerk und Dienst, in dem er berufen wurde“.
7 Und für die Arbeit können sie alles Notwendige annehmen außer Geld. 8 Und wenn es notwendig wird, mögen sie um Almosen bitten gehen wie andere Brüder. 9 Und es soll ihnen erlaubt sein, das für ihr Handwerk notwendige Werkzeug und Gerät zu haben 10 Alle Brüder „sollen sich bemühen, mit Eifer gute Werke zu verrichten“, denn es steht geschrieben: „Sei immer dabei, etwas Gutes zu tun, damit der Teufel dich beschäftigt finde“. 11 Und ebenso: „Müßiggang ist der Seele Feind“. 12 Daher müssen die Knechte Gottes immer dem Gebete oder einer guten Beschäftigung obliegen. 13 Hüten sollen sich die Brüder, wo sie auch sein mögen, in Einsiedeleien oder an anderen Orten, sich den Ort anzueignen oder einem anderen streitig zu machen. 14 Und mag zu ihnen kommen, wer da will, Freund oder Feind, Dieb oder Räuber, so soll er gütig aufgenommen werden. 15 Und wo die Brüder auch sind und an welchem Ort sie sich auch treffen, da müssen sie sich geistlich und aufmerksam wiedersehen und einander ohne Murren ehren.

16 Und sie sollen sich hüten, sich nach außen hin traurig und wie düstere Heuchler zu zeigen; vielmehr sollen sie sich als solche zeigen, die sich im Herrn freuen, heiter und liebenswürdig, wie es sich geziemt.


Kap. 8: Dass die Brüder kein Geld annehmen sollen
1 Der Herr befiehlt im Evangelium: „Gebt Acht und hütet euch vor jeglicher Bosheit und Habsucht“; 2 und: „Seid auf der Hut vor dem geschäftigen Treiben dieser Welt und vor den Sorgen dieses Lebens“. 3 Darum soll keiner der Brüder, wo er auch geht und steht, auf irgendeine Weise Geld oder Münzen bei sich haben oder annehmen oder annehmen lassen, weder für Kleider noch für Bücher noch als Lohn für eine Arbeit; nein, unter keinem Vorwand, es sei denn wegen der offenkundigen Notlage kranker Brüder; denn Geld oder Münzen dürfen für uns keinen größeren Nutzen haben, und wir dürfen sie nicht höher schätzen als Steine. 4 Und jene will der Teufel blenden, die nach Geld verlangen oder es für wertvoller halten als Steine. 5 Hüten wir uns also, die wir alles verlassen haben, wegen etwas so Geringem das Himmelreich zu verlieren. 6 Und wenn wir irgendwo Geld finden sollten, wollen wir uns darum nicht mehr kümmern als um Staub, den wir mit Füssen treten, denn es ist die Eitelkeit der Eitelkeiten, und alles ist Eitelkeit.

7 Und sollte es doch vorkommen – was ferne sei –, dass ein Bruder Geld berührt oder Münzen sammelt oder besitzt – ausgenommen allein die erwähnte Notlage der Kranken –, dann sollen alle Brüder ihn für einen falschen Bruder halten, für einen Dieb und Räuber und für den, der den Geldbeutel hat, falls er nicht aufrichtig Buße tut.

8 Und auf keine Weise dürfen die Brüder Geld annehmen oder annehmen lassen, weder Geld noch Geldalmosen noch Münzen für irgendwelche Häuser oder Orte erbitten oder erbitten lassen. Sie sollen auch niemanden begleiten, der für solche Orte Geld oder Münzen sammelt. 9 Andere Dienste aber, die unserem Leben nicht zuwider sind, können die Brüder den Orten erweisen mit dem Segen Gottes. 10 Doch wenn Aussätzige in offenkundiger Notlage sind, können die Brüder für sie auch um Almosen bitten. 11 Sie sollen sich aber sehr vor dem Geld hüten. 12 Ebenso sollen alle Brüder sich hüten, um eines schnöden Gewinnes willen durch die Lande zu ziehen.

Kap. 9: Vom Betteln um Almosen
1 Alle Brüder sollen bestrebt sein, der Demut und Armut unseres Herrn Jesus Christus nachzufolgen. Und sie sollen beherzigen, dass wir von der ganzen Welt nichts anderes nötig haben als, wie der Apostel sagt, Nahrung und Kleidung; damit sind wir zufrieden. 2 Und sie müssen sich freuen, wenn sie sich unter unbedeutenden und verachteten Leuten aufhalten, unter Armen und Schwachen, Kranken und Aussätzigen und Bettlern am Wege.
3 Und wenn es notwendig werden sollte, mögen sie um Almosen bitten gehen. 4 Und sie sollen sich nicht schämen, vielmehr daran denken, dass unser Herr Jesus Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, des Allmächtigen, sein Antlitz wie den härtesten Felsen gemacht hat und sich nicht geschämt hat. 5 Und er ist arm gewesen und Gast und hat von Almosen gelebt, er selbst und die selige Jungfrau und seine Jünger.
6 Und wenn ihnen die Menschen Schmach antun würden und ihnen kein Almosen geben wollten, dann sollen sie Gott dafür danken; denn für solche Schmach werden sie große Ehre vor dem Richterstuhl unseres Herrn Jesus Christus erhalten. 7 Und sie sollen wissen, dass die Schmach nicht denen angerechnet wird, die sie erleiden, sonern denen, die sie zufügen. 8 Und das Almosen ist das Erbe und die Gerechtigkeit, die den Armen zusteht und die uns unser Herr Jesus Christus erworben hat. 9 Und die Brüder, die sich abmühen, es zu sammeln, werden großen Lohn erhalten, und sie bewirken, dass auch die Spender ihn gewinnen und erwerben, denn alles, was die
Menschen in der Welt zurücklassen, wird vergehen, aber von der Wohltätigkeit und den Almosen, die sie gegeben haben, werden sie ihren Lohn haben vom Herrn.
10 Und vertrauensvoll soll einer dem anderen seine Not offenbaren, damit er ihm das Notwendige ausfindig mache und verschaffe. 11 Und jeder liebe und nähre seinen Bruder, wie eine Mutter ihren Sohn liebt und nährt; dabei wird Gott ihm Gnade schenken. 12 Und wer isst, verachte den nicht, der nicht isst; und wer nicht isst, verurteile den nicht, der isst.
13 Und wenn einmal Not über sie kommt, soll es allen Brüdern, wo sie auch sein mögen, erlaubt sein, sich aller Speisen zu bedienen, die Menschen essen können, wie der Herr von David sagt, der die Schaubrote aß, welche nur die Priester essen durften.
14 Und sie sollen beherzigen, was der Herr sagt: „Achtet aber auf euch selbst, dass eure Herzen nicht etwa durch Völlerei und Trunkenheit und von den Sorgen dieses Lebens beschwert werden und jener Tag nicht unversehens über euch hereinbricht; 15 denn wie eine Schlinge wird er über alle kommen, die den Erdkreis bewohnen“.
16 Ähnlich dürfen auch alle Brüder mit dem für sie Notwendigen zur Zeit offenkundiger Not verfahren, wie ihnen der Herr die Gnade schenkt; denn Not hat kein Gebot.


Kap. 10: Von den kranken Brüdern
1 Wenn einer der Brüder schwer krank werden sollte, mag er sein wo auch immer, dann sollen die anderen Brüder ihn nicht verlassen, ohne einen oder, wenn notwendig, mehrere Brüder bestimmt zu haben, die ihm dienen, wie sie selber bedient werden wollten. 2 Im äußersten Notfall können sie ihn einer Person anvertrauen, die sich seiner Krankheit annehmen soll.
3 Und ich bitte den kranken Bruder, für alles dem Schöpfer Dank zu sagen, und er möge so zu sein verlangen, wie der Herr ihn will, gesund oder krank. Denn alle, die Gott zum ewigen Leben vorherbestimmt hat, die unterweist er durch Stacheln von Schlägen und Krankheiten und durch den Geist der Reue, wie der Herr sagt: „Die ich liebe, weise ich zurecht und züchtige sie“.
4 Wenn er sich hingegen aufregt oder in Zorn gerät, sei es gegen Gott oder gegen die Brüder, oder wenn er vielleicht aufdringlich Arzneien fordert, da er zu sehr sein Fleisch zu befreien begehrt, das doch bald sterben wird und ein Feind der Seele ist, dann kommt ihm das vom Bösen, und er ist fleischlich und scheint nicht zu den Brüdern zu gehören, weil er den Leib mehr liebt als die Seele.

Kap. 11: Dass die Brüder nicht lästern und nicht verleumden, sondern sich gegenseitig lieben sollen
1 Und alle Brüder sollen sich hüten, zu verleumden und sich in Wortgezänk einzulassen; 2 vielmehr sollen sie bemüht sein, Schweigen zu bewahren, wann immer ihnen Gott die Gnade geben wird. 3 Auch sollen sie nicht untereinander oder mit anderen herumstreiten, sondern bemüht sein, demütig zu antworten und zu sagen: Wir sind unnütze Knechte.
4 Und sie sollen nicht zürnen, weil jeder, der seinem Bruder zürnt, dem Gerichte verfallen wird. Wer zu seinem Bruder sagt: „Taugenichts!“, wird dem Spruch des Hohen Rates verfallen. Wer zu ihm sagt: „Narr!“, wird dem Feuer der Hölle verfallen.
5 Und sie sollen sich gegenseitig lieben, wie der Herr sagt: „Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe“. 6 Und sie sollen die Liebe, die sie zueinander haben, im Handeln zeigen, wie der Apostel sagt: „Lasst uns nicht mit dem Wort und der Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit“.
7 Und sie sollen niemanden beschimpfen; 8 sie sollen nicht murren, andere nicht verleumden, denn es steht geschrieben: „Ohrenbläser und Verleumder sind Gott verhasst“. 9 Und sie seien bescheiden und sollen allen Menschen jegliche Sanftmut erweisen. 10 Sie sollen nicht richten, nicht verdammen. 11 Und wie der Herr sagt, sollen sie die geringsten Sünden anderer nicht in Betracht ziehen; 12 stattdessen sollen sie mehr die eigenen in der Bitterkeit ihrer Seele überdenken. 13 Und sie sollen sich bemühen, durch die enge Pforte einzutreten, 14 denn der Herr sagt: „Eng ist die Pforte und schmal der Weg, der zum Leben führt; und nur wenige sind es, die ihn finden“.

 

Kap. 12: Vom unlauteren Blick und Umgang mit Frauen

1 Alle Brüder, wo sie auch gehen oder stehen, sollen sich in Acht nehmen vor unlauteren Blicken und dem Umgang mit Frauen. 2 Und keiner soll allein mit ihnen beraten oder des Weges ziehen oder bei Tisch mit ihnen aus einer Schüssel essen. 3 DiePriester sollen ehrbar mit ihnen sprechen, wenn sie ihnen die Buße oder sonst einengeistlichen Rat erteilen. 4 Und auf keinen Fall darf eine Frau von einem Bruder in ein Gehorsamsverhältnis aufgenommen werden, sondern nachdem er ihr einen geistlichen Rat erteilt hat, mag sie Buße tun, wo sie will.

5 Und wir müssen alle sehr auf uns aufpassen und alle unsere Glieder rein bewahren, denn der Herr sagt: „Jeder, der eine Frau anschaut, um sie zu begehren, hat schon in seinem Herzen Ehebruch mit ihr begangen“. 6 Und der Apostel: „Oder wisst ihr nicht, dass eure Glieder ein Tempel des Heiligen Geistes sind?“ 7 Darum: „Wer den Tempel Gottes entweiht, den wird Gott vernichten“.

Kap. 13: Vom Meiden der Unzucht

1 Wenn ein Bruder auf Anreiz des Teufels Unzucht treiben sollte, dann soll er den Habit, den er durch seine abscheuliche Freveltat verloren hat, ganz ablegen undvollends aus unserem Orden ausgestoßen werden. 2 Und danach mag er Buße tun fürdie Sünden.

 

Kap. 14: Wie die Brüder durch die Welt ziehen sollen

1 Wenn die Brüder durch die Welt ziehen, sollen sie unterwegs nichts bei sich tragen, weder Beutel noch Tasche noch Brot noch Geld noch Stab. 2 Und wenn sie ein Hausbetreten, sollen sie zuerst sagen: „Friede diesem Hause!“ 3 Und solange sie in diesem Haus bleiben, mögen sie essen und trinken, was die Menschen dort haben.

4 Sie sollen dem Bösen nicht widerstehen, sondern wenn sie jemand auf die eine Wange schlägt, sollen sie ihm auch die andere hinhalten. 5 Und wer ihnen das Kleid wegnimmt, dem sollen sie auch das Hemd nicht verweigern. 6 Jedem, der sie bittet, sollen sie geben; und wer wegnimmt, was ihnen gehört, von dem sollen sie es nicht zurückfordern.

 

Kap. 15: Dass die Brüder nicht zu Pferde reiten sollen

1 Ich gebiete allen meinen Brüdern, Klerikern wie Laien, mögen sie durch die Welt ziehen oder in Niederlassungen weilen, auf keinen Fall bei sich oder bei einem anderen oder auf sonst eine Weise ein Tier zu halten.2 Es soll ihnen auch nicht gestattet sein, zu Pferd zu reiten, wenn sie nicht durch Schwäche oder große Not dazu gezwungen sind.

 

Kap. 16: Von denen, die unter die Sarazenen und andere Ungläubige gehen

1 Der Herr sagt: „Seht, ich sende euch wie Schafe mitten unter Wölfe. 2 Seid daher klug wie Schlangen und einfältig wie Tauben“.3 Daher soll jeder Bruder, der auf göttliche Eingebung hin unter die Sarazenenund andere Ungläubige gehen will, mit der Erlaubnis seines Ministers und Dienersgehen. 4 Der Minister aber soll ihnen ohne Widerspruch die Erlaubnis geben, wenn er sieht, dass sie zur Mission tauglich sind; denn er wird dem Herrn Rechenschaft ablegen müssen, wenn er hierin oder in anderen Dingen unüberlegt vorgegangen ist.5 Die Brüder, die dann hinausziehen, können in zweifacher Weise unter ihnen geistlich wandeln. 6 Eine Art besteht darin, dass sie weder zanken noch streiten, sondernum Gottes willen jeder menschlichen Kreatur untertan sind und bekennen, dass sie Christen sind.

7 Die andere Art ist die, dass sie, wenn sie sehen, dass es dem Herrn gefällt, das Wort Gottes verkünden, damit jene an den allmächtigen Gott glauben, den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist, den Schöpfer aller Dinge, an den Sohn, den Erlöser und Retter, und sich taufen lassen und Christen werden; denn wer nicht wiedergeborenwird aus Wasser und Heiligem Geist, kann nicht in das Reich Gottes eingehen. 8 Dieses und anderes, was dem Herrn gefällt, können sie ihnen und anderen sagen, denn der Herr sagt im Evangelium: „Jeder, der mich vor den Menschen bekennen wird, denwerde auch ich vor meinem Vater bekennen, der im Himmel ist“. 9 Und: „Wer sich meiner und meiner Worte schämt, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er inseiner und des Vaters und der heiligen Engel Herrlichkeit kommen wird".

10 Und alle Brüder, wo sie auch sind, sollen beherzigen, dass sie sich unserem Herrn Jesus Christus übergeben und ihm ihre Leiber überlassen haben. 11 Und umseiner Liebe willen müssen sie sich den sichtbaren wie den unsichtbaren Feindenaussetzen; denn der Herr sagt: „Wer sein Leben um meinetwillen verliert, wird es retten zum ewigen Leben . 12 Selig, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen, denn ihrer ist das Himmelreich. 13 Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen“.14 Und: „Wenn sie euch in einer Stadt verfolgen, flieht in eine andere. 15 Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen und euch schmähen und verfolgen und euch ausstoßen und verhöhnen und euren Namen schlecht machen und wenn sie euch fälschlichalles Böse nachsagen um meinetwillen. 16 Freut euch an jenem Tage und jubelt, denn reich ist euer Lohn im Himmel. 17 Ich sage aber euch, meinen Freunden: Lasst euch von diesen nicht erschrecken 18 und fürchtet jene nicht, die den Leib töten und danach euchnichts weiter antun können. 19 Seht zu, dass ihr nicht in Verwirrung geratet. 20 In eurer Geduld werdet ihr eure Seelen besitzen. 21 Wer aber ausharrt bis ans Ende, der wird gerettet werden“.

Kap. 17: Von den Predigern

1 Keiner der Brüder soll gegen Vorschrift und Anordnung der heiligen Kirche predigen und nur, wenn es ihm von seinem Minister erlaubt ist. 2 Der Minister hüte sich jedoch, jemandem unüberlegt die Erlaubnis zu erteilen. 3 Alle Brüder sollen jedochdurch Werke predigen. 4 Und kein Minister oder Prediger soll sich das Amt des Ministers (der Brüder) oder das der Predigt aneignen, sondern zu jeder Zeit, wenn es ihm befohlen wird, soll er ohne jeden Widerspruch auf sein Amt verzichten. 5 Daher bitte ich in der Liebe, die Gott ist, alle meine Brüder, ob sie nun predigen,beten oder arbeiten, sowohl die Kleriker wie die Laien, dass sie danach trachten, sich in allem zu demütigen, 6 sich nicht zu rühmen, weder selbstgefällig zu sein noch innerlich sich zu erheben wegen guter Worte und Werke, überhaupt über gar nichts Gutes, das Gott bisweilen in ihnen und durch sie tut oder spricht und wirkt, gemäß demWort des Herrn: „Doch freut euch nicht darüber, dass euch die Geister unterworfen sind“.

7 Und wir sollen fest überzeugt sein, dass nur Laster und Sünden zu uns gehören. 8 Und wir müssen uns mehr freuen, wenn wir in mancherlei Versuchungen geraten und wenn wir in dieser Welt um des ewigen Lebens willen vielerlei Ängste und Trübsale anSeele und Leib ertragen.

9 Darum wollen wir Brüder uns alle hüten vor jeglichem Stolz und eitlem Ruhm. 10 Und wir wollen uns in Acht nehmen vor der Weisheit dieser Welt und vor der Klugheit des Fleisches. 11 Denn der Geist des Fleisches drängt und treibt sehr an, Wortezu machen, wenig aber zum Wirken. 12 Und er sucht nicht die Frömmigkeit und innere Heiligkeit des Geistes, sondern will und ersehnt eine Frömmigkeit und Heiligkeit, dienach außen hin den Menschen auffällt. 13 Und das sind jene, von denen der Herr sagt:

„Wahrlich, ich sage euch, sie haben ihren Lohn schon empfangen“. 14 Der Geist des Herrn aber will, dass das Fleisch abgetötet und verachtet sei, unbedeutend, unbeachtet und schändlich. 15 Und er strebt nach Demut und Geduld, nach reiner Einfalt und dem wahren Frieden des Geistes. 16 Und über alles ersehnt er stets die Gottesfurcht und die göttliche Weisheit und die göttliche Liebe des Vatersund des Sohnes und des Heiligen Geistes.

17 Und alles Gute wollen wir dem Herrn, dem erhabensten und höchsten Gott, zurückerstatten und alles Gute als sein Eigentum anerkennen und für alles Dank sagen ihm, von dem alles Gute herkommt.

18 Und er, der erhabenste und höchste, einzige wahre Gott, möge erhalten, und ihm sollen erwiesen werden, und er möge empfangen alle Ehren und Ehrenbezeugungen, alle Loblieder und Preisungen, allen Dank und alle Herrlichkeit,er, dem jegliches Gute gehört und der allein gut ist.

19 Und wenn wir sehen oder hören, wie man Böses sagt oder tut oder Gott lästert, dann wollen wir Gutes sagen und Gutes tun und Gott loben,der gepriesen ist in Ewigkeit.

 

Kap. 18: Wie die Minister zusammenkommen sollen

1 Alljährlich kann jeder Minister mit seinen Brüdern am Fest des heiligen Erzengels Michael zusammenkommen, wo immer es ihnen gefällt, um das zu behandeln, was sich auf Gott bezieht. 2 Alle Minister aber, die in den Gebieten jenseits des Meeres und jenseits [d. h. nördlich] der Alpen sind, sollen einmal in drei Jahren und die anderen Minister einmal im Jahr zum Pfingstkapitel bei der Kirche der heiligen Maria von Portiunkula kommen, falls es nicht vom Minister und Diener der gesamten Bruderschaft anders angeordnet wird.

 

Kap. 19: Dass die Brüder katholisch leben sollen

1 Alle Brüder sollen katholisch sein, katholisch leben und reden. 2 Wenn aber einer in Wort oder Werk vom katholischen Glauben und Leben abirren sollte und sich nicht bessert, soll er aus unserer Bruderschaft gänzlich ausgestoßen werden. 3 Und alle Kleriker und alle Ordensleute sollen wir als Herren betrachten in den Dingen, die das Heil der Seele angehen und nicht von unserer Lebensart abweichen. 4 Und ihrer Weihe und ihrem Amt und Dienst wollen wir im Herrn Ehrfurcht erweisen.

 

Kap. 20: Von der Beichte und dem Empfang des Leibes und Blutes unseres Herrn Jesus Christus

1 Und meine gebenedeiten Brüder, seien sie Kleriker oder Laien, sollen ihre Sünden Priestern unseres Ordens beichten. 2 Und wenn sie das nicht können, mögen sie bei anderen besonnenen und katholischen Priestern beichten; dabei sollen sie fest wissenund beachten: Von welchen katholischen Priestern auch immer sie Buße und Lossprechung erhalten haben, sind sie ohne Zweifel von jenen Sünden losgesprochen, wenn sie sich bemüht haben, die ihnen auferlegte Buße demütig und getreu zu verrichten.

3 Wenn sie aber gerade keinen Priester haben können, mögen sie ihrem Bruder beichten, wie der Apostel Jakobus sagt: „Bekennt einander eure Sünden“. 4 Doch dürfen sie deswegen nicht unterlassen, sich [später] an einen Priester zu wenden, weildie Binde- und Lösegewalt allein den Priestern übertragen ist. 5 Und nach solcher Reueund Beichte sollen sie den Leib und das Blut unseres Herrn Jesus Christus mit großer Demut und Verehrung empfangen, eingedenk, dass der Herr sagt: „Wer mein Fleischisst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben“; 6 und: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“.

 

Kap. 21: Von der Lob- und Mahnrede, die alle Brüder halten können

1 Und diese oder eine ähnliche Mahn- und Lobrede können alle meine Brüder mit Gottes Segen bei allen Leuten halten, wann immer sie es für gut finden:

2 Fürchtet und ehrt; lobt und preist, sagt Dank und betet an den Herrn, den allmächtigen Gott in der Dreifaltigkeit und Einheit,den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist, den Schöpfer von allem.

3 Tut Buße, bringt würdige Früchte der Buße, wisst nämlich, dass wir bald sterben werden. 4 Gebt, und es wird euch gegeben werden. 5 Vergebt, und es wird euch vergeben werden. 6 Und wenn ihr den Menschen ihre Sünden nicht vergebt, wird der Herr euch eure Sünden nicht vergeben. Bekennt alle eure Sünden.

7 Selig, die in Buße sterben, denn sie werden im Himmelreich sein.8 Wehe jenen, die nicht in Buße sterben, denn sie werden Kinder des Teufels sein, dessen Werke sie tun, und sie werden in das ewige Feuer kommen.9 Nehmt euch in Acht und enthaltet euch von allem Bösen und harrt aus im Guten bis ans Ende.

 

Kap. 22: Ermahnung der Brüder

1 Achten wir, Brüder alle, aufmerksam darauf, was der Herr sagt: „Liebt eure Feinde und tut denen Gutes, die euch hassen“; 2 denn auch unser Herr Jesus Christus, dessen Fußspuren wir folgen müssen, hat seinen Verräter Freund genannt und sich freiwillig seinen Kreuzigern überliefert. 3 Darum sind alle jene unsere Freunde, die uns ungerecht Drangsal und Ängste, Schmach und Unrecht, Schmerzen und Qualen, Martyrium und Tod antun; 4 diese müssen wir sehr lieben, weil wir für das, was sie uns antun,das ewige Leben erlangen.

5 Und hassen wollen wir unseren Leib mit seinen Lastern und Sünden; denn durch ein fleischliches Leben will er uns die Liebe unseres Herrn Jesus Christus und das ewige Leben rauben und sich selbst mit allen in die Hölle stürzen. 6 Denn durch unsere Schuld sind wir verweslich, erbärmlich und dem Guten zuwider, zum Bösen aber bereit und willig. Wie der Herr im Evangelium sagt, 7 kommen ja vom Herzen der Menschen hervor und gehen von dort aus: „böse Gedanken, Ehebrüche, Unzucht, Mordtaten, Diebstähle, Habsucht, Bosheit, Arglist, Schamlosigkeit, Scheelsucht85Þ, falsche Zeugnisse, Gotteslästerung, Stolz, Torheit. 8 All dies Böse kommt von innen, aus dem Herzen des Menschen, und dies ist es, was den Menschen unrein macht“.

9 Jetzt aber, nachdem wir die Welt verlassen haben, haben wir nichts anderes zu tun, als darauf bedacht zu sein, dem Willen des Herrn zu folgen und ihm allein zugefallen. 10 Wir wollen uns sehr davor hüten, Erdreich am Wege zu sein oder steinigesoder mit Dornen bewachsenes Erdreich, gemäß dem, was der Herr im Evangelium sagt: 11 „Der Same ist das Wort Gottes. 12 Was aber an den Weg fiel und zertreten wurde, das sind jene, die das Wort des Reiches hören und nicht verstehen; 13 und sofort kommt der Teufel und raubt, was in ihre Herzen gesät ist, und nimmt das Wort aus ihren Herzen, damit sie nicht glauben und gerettet werden. 14 Was aber auf steiniges Erdreich fiel, das sind jene, die, wenn sie das Wort gehört haben, es sofort mit Freude aufnehmen. 15 Kommen aber umdes Wortes willen Trübsal und Verfolgung, so nehmen sie sofort Anstoß; und diese haben keine Wurzel in sich, sondern sind unbeständig, weil sie für gewisse Zeit glauben und in der Zeit der Versuchung abfallen. 16 Was aber in die Dornen fiel, das sind jene, die das Wort Gottes hören; und das geschäftige Treiben und die Sorgen dieser Welt und der Trug des Reichtums und die Begierden nach den übrigen Dingen schleichen sich ein und ersticken das Wort, und sie bleiben ohne Frucht. 17 Was aber in gutes Erdreich gesät ist, das sind jene, die mit gutem und bestem Herzen das Wort hören, es verstehen und festhalten und Frucht bringen in Geduld.“

18 Und darum wollen wir Brüder, wie der Herr sagt, „die Toten ihre Toten begraben lassen“. 19 Und wir wollen uns sehr hüten vor der Bosheit und Durchtriebenheit Satans, der will, dass der Mensch seinen Sinn und sein Herz nicht bei Gott habe. 20 Und er geht umher und möchte das Herz des Menschen unter dem Vorwand einer Belohnung oder Hilfe rauben und das Wort und die Weisungen des Herrn im Gedächtnis ersticken. 21 Und er will durch weltliche Geschäfte und Sorgen das Herz des Menschen blind machen und darin wohnen, wie der Herr sagt: „Wenn der unreine Geist von einem Menschen ausgefahren ist, schweift er durch öde und wasserlose Orte, Ruhe suchend; 22 und da er sie nicht findet, spricht er: Ich will in mein Haus zurückkehren, von dem ich ausgegangen bina). 23 Und er kommt und findet es leer, mit Besen gesäubert und geschmückt. 24 Dann geht er hin und nimmt noch sieben andere Geister hinzu, die schlimmer sind als er selbst; und sie ziehen ein und wohnen darin. Und die letzten Dinge dieses Menschen sind ärger als die ersten“.

25 Darum, ihr Brüder alle, wollen wir sehr wachsam sein, damit wir nicht unter dem Vorwand einer Belohnung oder eines [guten] Werkes oder einer Hilfeleistung die Gnade Gottes verlieren oder unseren Sinn und unser Herz vom Herrn abwenden.

26 Vielmehr bitte ich in der heiligen Liebe, die Gott ist, alle Brüder, sowohl die Minister  wie die anderen, dass sie sich mühen, jegliches Hindernis zu beseitigen und alle Sorge und Besorgnis hintanzustellen, um jeweils so gut sie können, mit geläutertem Herzen und reinem Sinn Gott dem Herrn zu dienen, ihn zu lieben, anzubeten und zu ehren, was er selbst über alles wünscht. 27 Und immer wollen wir ihm Wohnung und Bleibe bereiten, ihm, der da ist der Herr, der allmächtige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist, der sagt: „Seid daher allezeit wachsam im Gebet, damit ihr würdig befunden werdet, allem kommenden Unheil zu entgehen und vor dem Menschensohn zu stehen. 28 Und wenn ihr steht zum Gebet, dann sprecht: Vater unser, der du bist in den Himmeln“. 29 Und wir wollen ihn anbeten mit reinem Herzen, denn man muss immer beten, ohne nachzulassen; 30 denn der Vater sucht solche Anbeter. 31 Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. 32 Und zu ihm wollen wir unsere Zuflucht nehmen als dem Hirten und Bischof unserer Seelen“, der sagt: „Ich bin der gute Hirt, der ich meine Schafe weide und mein Leben für meine Schafe gebe“.

33 Ihr alle seid Brüder. 34 Und lasst euch nicht Vater nennen auf Erden, denn nur einer ist euer Vater: der im Himmel. 35 Und lasst euch auch nicht Meister nennen; denn nur einer ist euer Meister, der im Himmel ist: Christus. 36 Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, dann mögt ihr bitten, um was immer ihr wollt, und es wird euch zuteil werden. 37 Überall, wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. 38 Seht, ich bin bei euch bis zur Vollendung der Welt. 39 Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe, sind Geist und Leben. 40 Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“.

41 Lasst uns also die Worte, das Leben und die Lehre und das heilige Evangelium dessen festhalten, der sich herabgelassen hat, für uns seinen Vater zu bitten und uns seinen Namen kundzutun, indem er sprach: 42 „Vater, ich habe deinen Namen den Menschen kundgetan, die du mir gegeben hast; denn ich habe die Worte, die du mir

gegeben hast, ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaft erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und haben geglaubt, dass du mich gesandt hast. 43 Ich bitte für sie, nicht für die Welt, 44 sondern für die, welche du mir gegeben hast, denn sie sind dein, und all das Meine ist dein.

45 Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien wie auch wir. 46 Dies sage ich, solange ich in der Welt bin, damit sie die Freude ganz in sich haben. 47 Ich habe ihnen dein Wort anvertraut; aber die Welt hat sie gehasst, weil sie nicht von der Welt sind, wie auch ich nicht von der Welt bin. 48 Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst. 49 Verherrliche sie in der Wahrheit. 50 Dein Wort ist Wahrheit. 51 Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt. 52 Und für sie weihe ich mich selbst, damit sie in Wahrheit geweiht seien. 53 Nicht für sie allein bitte ich, sondern für jene, die auf ihr Wort hin an mich glauben werden, damit sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt und sie geliebt hast, wie du mich geliebt hast. 54 Und ich will ihnen deinen Namen kundtun, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen sei und ich in ihnen. 55 Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie deine Herrlichkeit schauen in deinem Reich“.

 

Kap. 23: Gebet und Danksagung

1 Allmächtiger, heiligster, erhabenster und höchster Gott, heiliger und gerechter Vater,

Herr, König des Himmels und der Erde, wir sagen dir Dank um deiner selbst willen, weil du durch deinen heiligen Willen und durch deinen eingeborenen Sohn mit dem Heiligen Geist alles Geistige und Körperliche geschaffen und uns,geformt nach deinem Bild und Gleichnis, ins Paradies gestellt hast.

2 Und durch unsere eigene Schuld sind wir gefallen. 3 Und wir sagen dir Dank, weil du, gleichwie du uns durch deinen Sohn erschaffen hast, so durch deine wahre und heilige Liebe, mit der du uns geliebt hast, ihn selbst als wahren Gott und wahren Menschen aus der glorreichen, seligsten, immerwährenden Jungfrau, der heiligen Maria, hast geboren werden lassen, und weil du durch sein Kreuz und sein Blut und seinen Tod uns, die gefangen waren, hast erlösen wollen.

4 Und wir sagen dir Dank, weil er, dein Sohn, kommen wird in der Herrlichkeit seiner Majestät, um die Verdammten, die nicht Buße getan und dich nicht erkannt haben, ins ewige Feuer zu stürzen, und um allen, die dich erkannt und angebetet und dir in Buße gedient haben, zu sagen: „Kommt, ihr Gesegneten meines Vaters,

nehmt das Reich in Besitz, das euch bereitet ist vom Anbeginn der Welt“.

5 Und da wir Elenden und Sünder allesamt nicht würdig sind, dich zu nennen, so bitten wir flehentlich, unser Herr Jesus Christus, dein geliebter Sohn, an dem du dein Wohlgefallen hast, möge mit dem Heiligen Geiste, dem Tröster, dir für alles Dank sagen, wie es dir und ihm gefällt; er ist es ja, der dir stets für alles zur Genüge ist und durch den du so viel für uns getan hast. Alleluja.

6 Und die glorreiche, seligste, allzeit jungfräuliche Mutter Maria, die seligen Michael, Gabriel und Raphael und alle Chöre der seligen Geister: die Seraphim, Cherubim, Throne, Herrschaften, Fürstentümer, Gewalten, Mächte, Engel, Erzengel, den seligen Johannes den Täufer, Johannes den Evangelisten, Petrus, Paulus und die seligen Patriarchen, die Propheten, die Unschuldigen Kinder, die Apostel, Evangelisten, Jünger, Märtyrer, Bekenner, Jungfrauen, die seligen Elias und Henoch und alle Heiligen, die waren und sein werden und sind, bitten wir um deiner Liebe willen demütig, dass sie so, wie es dir gefällt, für all das Dank sagen dir, dem höchsten, wahren Gott, dem ewigen und lebendigen, mit deinem vielgeliebten Sohn, unserem Herrn Jesus Christus, und dem Heiligen Geiste, dem Tröster, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. Alleluja.

7 Und alle, die in der heiligen, katholischen und apostolischen Kirche Gott dem Herrn dienen wollen, und alle kirchlichen Stände: die Priester, Diakone, Subdiakone, Akolythen, Exorzisten, Lektoren, Ostiarier und alle Kleriker,

alle Ordensmänner und alle Ordensfrauen überall; alle Kinder und Kleinen, die Armen und Notleidenden, die Könige und Fürsten, die Arbeiter und Bauern, die Knechte und Herren, alle Jungfrauen, die enthaltsamen wie die verheirateten Frauen, die Laien, Männer und Frauen, alle Kleinkinder, Heranwachsenden, Jugendlichen und Greise, die Gesunden und Kranken, alle Kleinen und Großen und alle Völker, Geschlechter, Stämme und Sprachen, alle Nationen und alle Menschen, wo auch immer auf Erden, die sind und sein werden, bitten wir Mindere Brüder alle, unnütze Knechte,demütig und flehen sie an, wir möchten doch alle im wahren Glauben und in der Buße ausharren; denn anders kann niemand gerettet werden.

8 Lasst uns alle aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, aus ganzer Gesinnung, aus aller Kraft und Stärke, mit ganzem Verstand, mit allen Kräften, mit ganzer Anstrengung, mit ganzer Zuneigung, mit unserem ganzen Inneren, mit allen Wünschen und aller Willenskraft Gott den Herrn lieben, der uns allen den ganzen Leib, die ganze Seele und das ganze Leben geschenkt hat und schenkt; der uns erschaffen hat, erlöst hat und uns einzig durch sein Erbarmen retten wird, der uns Elenden und Armseligen,Üblen und Verweslichen, Undankbaren und Bösen alles Gute erwiesen hat und erweist.

9 Nichts anderes wollen wir darum ersehnen, nichts anderes wollen, nichts anderes soll uns gefallen und erfreuen

als unser Schöpfer und Erlöser und Retter, der allein wahre Gott, der ist die Fülle des Guten, alles Gute, das gesamte Gut, das wahre und höchste Gut, der allein gut ist, gnädig, milde, süß und freundlich, der allein heilig ist, gerecht, wahr und richtig, der allein gütig, uneigennützig, rein ist, von dem und durch den und in dem alle Vergebung, alle Gnade, alle Herrlichkeit für alle Büßenden und alle Gerechten herkommt, und das Glück für alle Seligen, die sich zusammen im Himmel erfreuen.

10 Nichts also soll uns hindern, nichts trennen, nichts dazwischenkommen. 11 Überall, an jedem Ort, zu jeder Stunde und zu jeder Zeit, täglich und unablässig wollen wir alle wahrhaft und demütig an ihn glauben und an ihm im Herzen festhalten und ihn lieben, ehren, anbeten, ihm dienen, ihn loben und benedeien, verherrlichen und hoch erheben, ihn preisen und ihm Dank erweisen, dem erhabensten und höchsten ewigen Gott, der Dreifaltigkeit und Einheit, dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, dem Schöpfer von allem und Retter derer, die an ihn glauben und auf ihn hoffen und ihn lieben, der ohne Anfang ist und ohne Ende, unveränderlich, unsichtbar, unbeschreiblich, unaussprechlich, unbegreiflich, unerforschlich, gepriesen, lobwürdig, ruhmreich, hocherhoben, hehr, erhaben, süß, liebenswert, ergötzlich und stets ganz ersehnenswert über alles von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

 

Kap. 24: Schluss

1 Im Namen des Herrn!

Ich bitte alle Brüder, den Wortlaut und Sinn dessen, was in dieser Lebensregel zum Heile unserer Seele geschrieben ist, auswendig zu lernen und sich häufig ins Gedächtnis zu rufen. 2 Und ich flehe zu Gott, dass er selbst, der allmächtig, dreifaltig und einer ist, all jene, die dieses lehren, lernen, bei sich haben, zu Herzen nehmen und vollbringen, so oft segne, wie sie das wiederholen und tun, was daselbst zum Heil unserer Seele geschrieben steht. 3 Und ich beschwöre alle mit dem Kuss der Füße, diese Regel von Herzen zu lieben, zu befolgen und aufzubewahren.

4 Und von Seiten Gottes, des Allmächtigen, und des Herrn Papstes und im Gehorsam gebiete ich, Bruder Franziskus, streng und befehle, dass von dem, was in dieser Lebensform geschrieben steht, keiner etwas streiche oder ihr etwas Weiteres schriftlich hinzufüge, wie auch, dass die Brüder keine andere Regel haben sollen. 5 Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, wie es war im Anfang, so auch jetzt und allezeit und in Ewigkeit. Amen.