Fiorettireihe - Franziskaner unterwegs im Alltag: Ein blinder Mann statt eines Franziskaners

Eine Woche verbrachte ich in einem anderen Kanton und machte dort jeden Tag nach dem Mittagessen einen guten Spaziergang. Als ich im Franziskanerkleid, im braunen Habit, unterwegs war, kam mir eine Frau joggend entgegen, die mir sagte, dass sie glaubte, dass ich einen weissen Stock trage und ein Blinder sei, als sie mich mit dem weissen Seil um den braunen Habit aus der Ferne gesehen habe. Manchmal wundert es mich dann doch wieder, dass die Menschen noch nie einen Franziskaner gesehen haben und sie sich darüber wundern, was ich denn bin. Aber eigentlich habe ich mich schon daran gewöhnt. Mal sehen sie einen Blinden in mir, mal den Franziskaner auf der Flasche «Franziskaner Weissbier» (diese gehört übrigens nicht dem Franziskanerorden, sonst wären wir wirklich sehr reich!).

Nicht erkannt zu werden gehört heute wohl zum Wesen eines Franziskaners und Ordensmannes. Aber vielleicht ist das nicht schlecht. Es ist gut nicht im Zentrum zu stehen und nicht ins Zentrum gehören zu wollen.
Franziskaner zu sein bedeutet, nicht im Zentrum stehen zu wollen, sondern aus dem Getragensein von Gott her zu leben. Nicht meine Selbsterkenntnis ist das Zentrum meines Lebens, sondern das Geliebtwerden durch Gott möchte meine Mitte sein. Ich versuche aus dem Beschenktwerden heraus zu leben. Es ist nicht leicht aus dem Geschenk zu leben und sich nicht selber in die Mitte des eigenen Lebens zu stellen. Für mich selber besteht die Provokation darin, dass das Geschenk das Wesentliche meines Lebens ist. Nicht zuerst das Geschenk eines Menschen, sondern noch mehr und noch tiefer das Geschenk Gottes selber.
Als Ordensperson lasse ich mich von diesem Geschenk immer wieder neu provozieren und lebe aus dem Geschenk heraus. Ich versuche mich dem Geschenk hinzugeben. Das ist das, was seit langem als Weihe an Gott bezeichnet wird, ein Sich-Hinschenken an den Gott, der sich mir dauernd neu schenkt. Das ist für mich selber ein unfassbares Geheimnis. Ich habe schon Menschen aus anderen Kontinenten und anderen Religionen erlebt (z.B. aus Indien), die mich als gottgeweihten Menschen mit einer Verneigung geehrt haben oder sogar meinen weissen Strick küssten. In diesem Moment staune ich selber über die mir oft verborgene Tiefe meiner eigenen Lebensart als Ordensmann. Ich darf staunen lernen.
Am 2. Februar, dem Fest der Darstellung des Herrn, feiern wir in der katholischen Kirche auch den Tag des geweihten Lebens. Ich hoffe, an diesem Tag tief staunen zu dürfen.

 

Br. Paul Zahner OFM