Es ist im Mai 1521, als der Offizier Ignatius von Loyola, der spätere Heilige, bei der Schlacht um Pamplona in Spanien an einem Bein schwer verletzt wird. Ignatius, zu dieser Zeit ein 30jähriger
Lebemann, muss wochenlang das Krankenlager hüten auf dem Schloss seiner Familie. Dort geht in ihm eine innere Wandlung vor.
In seiner Selbstbiographie: ‚Bericht des Pilgers‘ beschreibt er später, wie er in dieser Zeit in der Nacht oft stundenlang den Himmel und die Sterne betrachtet habe. Dies wird ihm zur lebenslangen Gewohnheit. Er gründet den Jesuitenorden; ist vielbeschäftigt. Aber noch als Ordensgeneral in Rom betrachtet Ignatius nachts oft ganz lang und intensiv den Sternenhimmel.
Das Betrachten des Sternenhimmels hat ihm – wie er selbst schreibt – Trost gegeben und Begeisterung für Gott.
Es hat ihm Distanz gegeben; Distanz zu dem, was sich im Alltag so wichtig macht und so eitel daherkommt. Und es hat in ihm, wie ein Gefährte bezeugt, die Liebe zum Schöpfer entzündet.
Das Betrachten des Sternenhimmels hat eine ähnliche Wirkung wie die Erfahrung der ‚Wüste‘ – wie es in den Evangelien von Jesus berichtet wird. ‚Wüste‘ bedeutet ja auch: Distanz nehmen. Distanz nehmen zu dem, was einem im Alltag ausfüllt; was den Alltag belagert. Distanz ist wichtig. Distanz hilft, neu zu sehen und zu unterscheiden: Was ist wichtig und was macht sich nur wichtig? Manches bläht sich auf; stellt sich hin, als wäre es unverzichtbar; aber aus Distanz gesehen merkt man: es stimmt gar nicht – es war mehr Schein.
Sie haben dies vielleicht auch schon erlebt, wenn sie von einem Berggipfel aus in die Täler geschaut haben: Unten, im Gewühl der Häuser und Strassen bedrängt und stresst einem vieles; man wird von Erwartungen und Meinungen belagert; man stresst und nervt andere. Und von oben, aus der Höhe, wirkt plötzlich alles wie eine Spielzeuglandschaft – und man fragt sich in einem solchen Moment: Was ist wirklich wichtig? Für was lohnt es sich wirklich zu leben?
Die Fastenzeit ist ein Blick aus der Höhe oder wie das Betrachten des Sternenhimmels: Man bekommt Distanz; man geht zu verschiedenen Dingen auf Distanz. Es bedeutet auch Kampf; die Luft wird
dünner; Versuchungen kommen, wie es auch Jesus erlebt hat – aber die Gewichte in meinem Leben können sich dadurch neu ordnen. Manches, wo ich gemeint habe, ich könne nicht darauf verzichten; ich
müsse es unbedingt haben oder ich müsse dieser Erwartung unbedingt entsprechen oder die Meinung jener übernehmen; all das zeigt sich plötzlich als nicht mehr so wichtig. Das irritiert im ersten
Moment; aber es entlastet und befreit auch.
Gehen wir nochmals zum hl. Ignatius zurück und zu seinem Betrachten des Sternenhimmels. Mir gefällt diese Art von Distanz nehmen sehr. – Das ist nicht ein quälendes Grübeln über sich selber; da geht es nicht um etwas, was man sollte; und dann ist man wieder frustriert, weil man es nicht schafft. – Beim Sternenhimmel betrachtet man die Unermesslichkeit des Schöpfers und entdeckt darin gleichzeitig Seine Sorge für uns. Man merkt: Gott ist massgeblich; Er ist DA – die Wirklichkeit; und Er hat mir/hat uns einen Platz in Seiner Schöpfung gegeben. Wenn ich diese grundlegende Wahrheit betrachte wird mir die rechte Distanz zu den Dingen dieses Lebens gegeben; ich lerne Weisheit. Gott kann anfangen, in meinem Leben und Herzen zu wirken; kann durch mich wirken. Kann mir den Geschmack für das Ewige geben.
In diesem Sinn wünsche ich uns eine gesegnete Fastenzeit; eine Zeit der Distanz; eine Zeit zu lernen, dass Gott massgeblich ist – dass allein die Liebe zu Gott und zum Nächsten zählt.
P. Raphael Fässler, Maria Dreibrunnen